Der kluge Jan lebte vor langer Zeit in einem Dorf, dessen Name hier nicht verraten werden soll. Man sagt, die Leute in diesem Dorf seien damals ziemlich dumm gewesen.
Jan arbeitete beim Schmied als Knecht. Als Lohn bekam er allerdings für die Arbeit eines ganzen Jahres nur ein einziges Kalb. Auch das war dem geizigen Schmied eigentlich zu viel. Er fütterte das Kalb nicht genügend, so dass das Tier eines Tages verhungerte. Als Jan das sah, sagte er: „Das ist nicht schlimm, ich werde ihm das Fell abziehen und es verkaufen.“
Mit dem Kalbfell zog er anschließend zur nächsten Stadt. Als er zurückkehrte, zeigte er dem neugierigen Schmied einen gut gefüllten Sack mit Geld, das er angeblich dafür bekommen hatte. In Wirklichkeit hatte er sich das Fell über die Schultern gehängt. Am Wegesrand rastete gerade eine Räuberbande. Als sie in der Dämmerung den Jan mit seinem Kalbfell erblickten, hielten sie ihn für ein Ungeheuer und nahmen Reißaus. Jan schnappte sich schnell den Geldsack der Bande und machte, dass er möglichst schnell wieder nach Hause kam.
Als die dummen Bauern des Dorfes von dem vielen Geld hörten, das der Knecht des Schmieds für ein Kalbfell bekommen hatte, schlachteten sie sofort alle ihre Kälber, zogen ihnen die Felle ab, um sie in der Stadt zu verkaufen. Als sie jedoch dort ankamen, kostete ein Fell nur ein paar Cent. Darauf wurden sie so wütend, dass sie beschlossen, Jan zu erschlagen.
In der Nacht schlichen sie zu seiner Kammer. „Schläft er?“, flüsterte der Anführer. „Ja, er schläft“, antwortete einer der Bauern. „Na, dann los!“ Und sie droschen mit Knüppeln und Äxten auf das Bett ein. Doch am anderen Morgen lief der Knecht wieder vergnügt über den Hof. Er hatte nämlich von dem Plan der Bauern rechtzeitig erfahren. Daraufhin hatte er die alte Mutter des Schmieds überredet, in seinem Bett zu schlafen, während er selbst sich in das Heu in der Scheune legte.
Leider war nun die Mutter des Schmieds mausetot. Wieder war es Jan, der Rat wusste. „Das ist gar nicht so schlimm, wie ihr meint. Damit kann man viel Geld verdienen“, sagte er zu den ungläubig glotzenden Bauern.
Jan nahm die tote Frau, setzte sie an einer engen Stelle mitten auf die Straße und versteckte sich im Gebüsch. Er wusste, dass hier täglich die Kutsche eines reichen Kaufmanns vorbeikam. Schon hörte er das Getrappel der Pferde. Der Kutscher schrie die alte Frau an, sie solle die Straße frei machen. Er wollte die Kutsche anhalten, doch der Kaufmann befahl ihm, weiterzufahren und die Frau zu verscheuchen.
Doch diese blieb natürlich steif auf ihrem Platz sitzen. Die Kutsche fuhr in rasender Fahrt über sie hinweg. Da sprang Jan aus seinem Gebüsch, hielt die Pferde an und schrie Kutscher und Kaufmann an: „Was fällt euch ein, einfach eine alte Frau umzufahren? Könnt ihr nicht anhalten?“
Kreidebleich stieg der Kaufmann aus, lief zu der Frau hin, sah, dass sie tot war und erbleichte noch mehr. Wenn das herauskam, war er ruiniert. In seiner Not gab er dem Knecht alles Geld, das er bei sich trug, und bat ihn, auf gar keinen Fall von dem Vorfall zu erzählen. Schmunzelnd ging Jan wieder nach Hause und zeigte das viele Geld herum, das er angeblich für die tote Frau bekommen hatte.
„Das Geld wollen wir auch verdienen, wenn alte Frauen so teuer sind“, rief einer der tumben Bauern. Und schon rannten alle los, erschlugen alle alten Frauen des Dorfes, doch Geld bekamen sie dafür natürlich nicht.
Jetzt waren sie noch wütender auf Jan. Sie wollten ihn endgültig loswerden und ihn ertränken. Sie schnappten ihn, steckten ihn in eine Tonne und zogen in ein nahe gelegenes Moor. Als sie angekommen waren, merkten sie, dass sie den Deckel der Tonne vergessen hatten. Sofort rannten alle wieder zurück, um den Deckel zu holen. Jan sollte in seiner Tonne sitzen bleiben.
Zufällig kam ein Schäfer mit seiner Schafherde vorbei. Jan bot ihm an, eine Weile im schattigen Inneren der Tonne zu schlafen. Der Schäfer war müde und sofort einverstanden. Kaum hatte er sich hinein gesetzt, schlief er schon ein. Jan aber zog mit der Schafherde weiter ins Moor hinein.
Atemlos kamen nach einiger Zeit die Bauern angerannt. Ohne darauf zu achten, wer in der Tonne saß, nagelten sie schnell den Deckel darauf und warfen sie in einem hohen Bogen ins Wasser. Zufrieden kehrten sie ins Dorf zurück. „Jetzt hat er endlich seine verdiente Strafe erhalten!“, sagten sie zueinander.
Doch am Abend zog Jan mit einer großen Schafherde die Dorfstraße entlang. Das konnten die Bauern nun wirklich nicht mehr begreifen. „Woher hast du die Schafe?“, fragten sie mit offen stehenden Mäulern. „Ihr habt mich doch ins Wasser geschmissen“, entgegnete Jan, „nun, auf dem Boden des Sees war gerade Viehmarkt. Die Schafe waren besonders billig. Da habe ich mir diese Herde hier gekauft. Und wenn ihr das nicht glauben wollt, könnt ihr ja mitkommen“.
Gemeinsam zogen sie erneut ins Moor. Jan dirigierte seine Herde so geschickt, dass die Schafe hinter dem Tümpel standen und die Bauern sahen, wie sich ihre Körper im Wasser spiegelten. Sie meinten, auf dem Boden des kleinen Sees finde wirklich ein Markt statt. Die Gelegenheit konnten sie sich nicht entgehen lassen. Alle sprangen gleichzeitig ins Wasser. Da jedoch keiner schwimmen konnte, ertranken sie alle jämmerlich.
Nun gehörte dem Knecht, der von nun an „der kluge Jan“ genannt wurde, das ganze Dorf mit all seinen Reichtümern ganz allein. Und die Menschen, die heute in diesem Dorf leben, stammen natürlich alle von ihm ab.
Nach einer plattdeutschen Erzählung aus der Grafschaft Bentheim - Bild: Hamsterkiste