Erklären, was ist, beschreiben, was war, und Kinder zum

Gebrauch ihres eigenen Verstandes anleiten - das ist gut.


2111 Frau Holle

Frau Holle



Eine Witwe hatte zwei Töchter. Eine war schön und fleißig, die andere hingegen hässlich und faul. Die Frau mochte die hässliche und faule Tochter trotzdem viel lieber, denn sie war ihr leibliches Kind. Die andere war ihre Stieftochter und musste alle Arbeit in Haus und Hof tun und wenn die erledigt war, sich an einen Brunnen im Hof setzen und Wolle spinnen, bis die Finger bluteten.

Eines Tage fiel ihr die blutige Spule dabei in den Brunnen. Das Mädchen weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte von seinem Unglück. Da wurde die Frau wütend, schimpfte und sprach: „Wenn dir die Spule in den Brunnen gefallen ist, dann hol sie auch wieder herauf!"

Das Mädchen ging traurig zum Brunnen zurück und weil es nicht weiter wusste, sprang es hinein. Es verlor das Bewusstsein. Als es erwachte, befand es sich auf einer schönen Wiese. Die Sonne schien und tausende von Blumen entfalteten ihre Pracht.  Das Mädchen ging weiter und kam zu einem Backofen, der voller Brot war. Plötzlich rief das Brot: „Zieh mich heraus, zieh mich heraus, sonst verbrenne ich. Ich bin schön längst ausgebacken.“

Das Mädchen ging hin und holte mit dem Brotschieber alles Brot heraus.  Bald darauf kam es zu einem Apfelbaum, der hing voller Äpfel und rief immerzu: “Ach schüttel mich, schüttel mich. Meine Äpfel sind alle reif, ich kann sie nicht mehr tragen.“ Da schüttelte das Mädchen den Baum so lange, bis alle Äpfel herunter gefallen waren, bevor es weiter ging. Schließlich sah es in der Ferne ein kleines Haus.

Als das Mädchen näher kam, erblickte es eine Frau mit großen, schiefen Zähnen. Ängstlich sah es die Frau an, doch diese sprach freundlich: “Hab keine Angst. Bleib bei mir. Ich könnte eine Hilfe im Haus gut gebrauchen. Wenn du deine Arbeit ordentlich machst, dann soll es dir gut gehen bei mir. Du musst nur mein Bett und die Kissen tüchtig aufschütteln, dass die Federn fliegen. Dann schneit es auf der Erde, ich bin nämlich die Frau Holle."

Das Mädchen blieb bei ihr. Es erledigte fleißig alle Arbeiten, die Frau Holle ihm auftrug. Besondere Mühe gab es sich beim Ausschütteln der Betten. Es hatte satt zu essen und wurde nett und freundlich behandelt.

Obwohl es ihm bei der Frau Holle viel besser ging als zu Hause, bekam es nach einiger Zeit Heimweh. Frau Holle wollte das Mädchen erst nicht gehen lassen, doch weil es immer trauriger wurde, willigte sie schließlich ein und versprach, das Mädchen selbst zu einem großen Tor zu bringen, durch das es in das wirkliche Leben zurückkehren sollte. Als das Mädchen sich verabschiedet hatte und unter dem Torbogen hindurch ging, fiel ein gewaltiger Goldregen herab. Alles Gold blieb an ihm hängen und es bekam von Frau Holle sogar noch die Spule zurück, die in den Brunnen gefallen war.

Das Mädchen fand zurück zum Haus der Mutter. Der Hahn saß auf dem Brunnen und krähte, dabei konnte man immer wieder das Wort "Goldmarie" heraushören. Die Mutter und die Schwester nahmen es gut auf, denn es war ja über und über mit Gold bedeckt. Als die Mutter hörte, wie es zu dem Reichtum gekommen war, wollte sie auch der faulen und hässlichen Tochter zu diesem Glück verhelfen.

Auch dieses Mädchen musste sich an den  Brunnen setzen und spinnen. Weil es ihm zu lange dauerte, bis es sich die Finger blutig gesponnen hatte, ritzte es sich an einer Dornenhecke. Anschließend warf es die Spule in den Brunnen und sprang hinterher.

Auch das faule Mädchen fand sich auf der schönen Wiese wieder und ging den gleichen Weg wie seine Schwester. Nach einiger Zeit kam es ebenfalls zu dem Backofen. Wieder schrie das Brot: "Ach zieh mich heraus! Ich bin schon längst ausgebacken." Doch das Mädchen weigerte sich: "Glaubst du etwa, ich will mich schmutzig machen?"  und ging weiter.

Bald darauf kam es auch zu dem Apfelbaum. Er hing auch diesmal voller Äpfel und schrie: „Ach schüttel mich, die Äpfel sind schon längst reif!" Auch dazu hatte das faule Mädchen keine Lust. "Am Ende fällt mir noch einer auf den Kopf", sagte es und setzte seinen Weg fort. Schließlich kam es zu dem kleinen Haus von Frau Holle. Es hatte keine Angst vor den großen, schiefen Zähnen und fragte sofort, ob es im Haus arbeiten könne.

Frau Holle trug ihm die gleichen Arbeiten auf wie der Schwester einige Tage vorher. Am ersten Tag gab sich das faule Mädchen Mühe, es war fleißig und erledigte die Arbeit zur vollen Zufriedenheit von Frau Holle. Es dachte nämlich an das viele Gold, dass es mit nach Hause bringen würde.

Doch schon am nächsten Tag war es mit seinem Fleiß vorbei. Es tat nur das Nötigste und am dritten Tag wollte es gar nicht erst aufstehen. Frau Holles Bett schüttelte das faule Mädchen total lustlos, so dass auf der Erde an diesem Tag nirgendwo Schnee fiel.

Frau Holle konnte eine solche Angestellte nicht gebrauchen und entließ die faule Gehilfin. Diese war darüber nicht einmal traurig, dachte sie doch, dass nun der Goldregen nicht mehr fern sei. Frau Holle führte auch dieses Mädchen zu dem Tor. Doch als es gerade darunter stand, wurde über ihm ein großer Kessel mit Pech ausgeschüttet. “Das ist dein Lohn", sagte Frau Holle und schloss das Tor zu.

Das Mädchen ging ziemlich enttäuscht nach Hause. Wieder saß der Hahn auf dem Brunnen und krähte. Doch aus seinem Gekrähe konnte man deutlich das Wort "Pechmarie" heraushören.

So sehr Pechmarie und seine Mutter auch versuchten, die schwarze klebrige Masse abzuwaschen, es gelang nicht. So musste das Mädchen sein ganzes Leben lang damit herumlaufen.
Erzählt nach dem Märchen von Jakob und Wilhelm Grimm
Bild: gemeinfrei
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